Fairhandelsdemokratie statt Freihandelsdiktatur

FRAGE AN DAS

»zoon politikon«, an den» politischen Menschen« in Ihnen: Was bräuchte es Ihrer Ansicht nach gegenwärtig am dringendsten in der EU? Konzertierte Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, eine effektive Strategie gegen den Klimawandel, die Zerteilung der Großbanken, die Schließung von Steueroasen, die Besteuerung von Milliardenvermögen, eine EU-weite Armutssicherung, Förderungen für soziales Unternehmertum und Gemeinwohl-Banken? Oder wünschen Sie, dass zuerst »Handelshindernisse« zwischen USA und EU abgebaut werden, damit die Großkonzerne noch mehr Macht bekommen?

Am 11. Oktober 2014 gingen über einhunderttausend politische Menschen in über 1000 Städten von 22 EU-Mitgliedsstaaten auf die Straßen, um den Stopp der TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU zu fordern. Sie wollen nicht, dass unter dem schönfärberischen Titel »Freihandel« die Demokratie, Arbeitsstandards, KonsumentInnenschutz, Regionalität und Nachhaltigkeit rückgebaut – und Rechte und Freiheiten für Großkonzerne ausgeweitet werden. Das TTIP brächte Fesseln für die Politik und Klagerechte für Konzerne. Unter dem Euphemismus der Wirtschafts freiheit dräut eine Handelsdiktatur.

Die EU-Eliten haben offenbar jeden Kontakt zu den BürgerInnen gekappt. Ohne Beschluss der nationalen Parlamente und des EU-Parlaments gibt der nicht gewählte Europäische Rat der nicht gewählten Europäischen Kommission den Auftrag, ein Wirtschaftsabkommen zwischen der USA und der EU geheim zu verhandeln. Wieso geben die Parlamente nicht das Mandat? Wieso wird dieses nicht öffentlich diskutiert? Ein Etappensieg der BürgerInnenproteste ist die Veröffentlichung des Verhandlungsmandats. Alles, was befürchtet wird, ist darin enthalten: die »Angleichung« von Gesundheits-, Umwelt- und VerbraucherInnenschutz-Standards, Fesseln für die demokratische Regulierung, Unterhöhlung der Gemeindeautonomie, freier Kapitalverkehr für finanzielle Massenvernichtungswaffen. Nicht die eigene Bevölkerung soll in Zukunft bei Gesetzesvorhaben angehört werden, sondern die lobbyumzingelten Behörden der USA. Und falls dann doch noch eine Norm, ein Gesetz durchschlüpfen sollte, das die Wirtschaftsfreiheiten der Konzerne »unnötig« beschränkt, können diese auf »indirekte Enteignung« klagen: vor privaten und geheim tagenden Ad-hoc-Tribunalen, wo keine Richter urteilen, sondern konzernnahe »Streitschlichter« sich ein fettes Zubrot verdienen.

Wem fällt so eine »schöne neue Welt« ein? Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission sind in einem beängstigenden Ausmaß zu Lobby-Armen der transnationalen Konzerne geworden. Den endgültigen Vorrang »Freihandel vor Demokratie« errichtete die EU-Kommission, als eine breite Allianz zivilgesellschaftlicher Organisationen eine europäische BürgerInnen-Initiative zum Stopp der TIPP-Verhandlungen einleiten wollte. Dieses BürgerInnen-Begehren wurde von der Kommission kaltschnäuzig abgeschmettert. Zum Glück lassen sich die InitiatorInnen nicht beirren und starteten am 7. Oktober in Eigeninitiative eine Unterschriftensammlung. Ziel sind eine Million Unterschriften in einem Jahr – so viel muss eine »genehmigte« BürgerInneninitiative erreichen – nach nur 2 Monaten wurde die Million an die EU-Kommission übergeben.

Ich habe unterschrieben. Aber ich will mehr: Mehr Demokratie und echte Souveränität. Souverän kommt vom lateinischen »superanus« und bedeutet »über allem stehend«, das sollte auch in den Verhandlungen von völkerrechtlichen Verträgen zum Ausdruck kommen. Ein Vorschlag dazu: Die souveräne Bevölkerung erteilt via Volksabstimmung ein »Rahmenmandat« für völkerrechtliche Verhandlungen, das in Form von Strategiezielen in der Verfassung verankert wird, zum Beispiel: wachsende Nachhaltigkeit, Verteilungsge rechtigkeit, voller Respekt der Menschenrechte inklusive der ILO-Arbeitsnormen, Verringerung der Geschlechterkluft, Förderung der kulturellen Vielfalt. Auf dieser Basis kann die Vertretung des Souveräns, das (EU-)Parlament, die Regierung (EU-Kommission) mit der Aufnahme von Verhandlungen betrauen, jedoch nur, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Wird ein Mandat erteilt, prüft es der Verfassungsgerichtshof (EuGH) auf Verfassungskonformität. Ist das Ergebnis negativ, erlischt das Verhandlungsmandat. Ist es positiv, können die Verhandlungen starten, allerdings nur transparent und partizipativ nach – ebenfalls in der Verfassung – klar vorgegebenen Spielregeln. Das Ergebnis der Verhandlungen wird der höchsten Instanz zur Entscheidung vorgelegt. Nur wenn der Souverän dem Vertrag, der in seinem Namen ausverhandelt wurde, zustimmt, kann dieser in Kraft treten. Vielleicht löst die Frustration mit TTIP als Nebeneffekt den nächsten Entwicklungsschritt zu echter Demokratie aus.

Dann hätte es sein Gutes.

Christian Felber

aus dem brennstoff Nr. 39/15

http://w4tler.at/wp-content/uploads/2015/01/brennstoff39.pdf

 

Christian Felber ist u.a. der Gründer der Gemeinwohlökonomie.

Aus dem Verlagsnotiz bei Hanser:

Christian Felber, geboren 1972, studierte Romanische Sprachen, Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Wien und Madrid. Er ist einer der bekanntesten Proponenten wirtschaftlicher Alternativen, Mitbegründer von Attac, …

http://www.hanser-literaturverlage.de/autor/christian-felber/

Von ihm sind schon verschiedene Bücher erschienen:

Die Gemeinwohlökonomie (2012), Deuticke, Wien

Geld, die neuen Spielregeln

Retten wir den Euro, Deuticke, Wien

Freihandelsabkommen TTIP, Hanser Box, München