Abertausende Akteure könnten mit CETA klagen

von Rolf-Henning Hintze

Handelsexpertin Pia Eberhardt: Neues Investitionsgericht hebt grundsätzliche Kritik am Investorenschutz nicht auf

Als „Etappensieg“ preist Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, die Schaffung eines neuen Investitionsgerichts (ICS) anstelle privater Schiedgerichte, wie sie in TTIP vorgesehen sind, im geplanten Handelsabkommen mit Kanada (CETA). Auch viele Zeitungsredaktionen meinen, der wichtigste Giftzahn im CETA sei damit gezogen. Ganz anders sieht das Pia Eberhardt, Handelsexpertin der Nichtregierungsorganisation CEO (Corporate Europe Observatory): Fast alle Grundfehler der Schiedsgerichte seien auch im Modell des Investitionsgerichts enthalten. U.a. bestehe es nicht aus unabhängigen Richtern, argumentiert sie, und unterstützt damit zugleich die grundsätzliche Kritik, die kürzlich der Deutsche Richterbund äußerte.

Bernd Lange preist das im CETA-Vertrag mit Kanada vorgesehene neue Investitionsgericht und bezeichnet ihn deswegen als „Sargnagel“ für die ISDS-Schiedsstellen. Sie widersprechen dem vehement und sagen, es handele sich lediglich eine neue Verkleidung, um die Idee der privaten Schiedsgerichte zu sichern. An welchen Punkten machen Sie das fest?

Pia Eberhardt: Im Wesentlichen enthält der letzte Vorschlag von Frau Malmstöm all die Konzernklagerechte, die auch schon bestehende Verträge enthalten. Und auf Basis dieser Rechte finden eben Klagen statt wie die Klage von Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg oder die Klage von Philipp Morris gegen Uruguay wegen Maßnahmen zum Nichtraucherschutz. All diese Rechte enthält auch der aktuelle Vorschlag, d.h. all diese Klagen werden weiterhin möglich sein, hoher Schadenersatz wird möglich sein.

Die einzig wesentliche Veränderung, die der Vorschlag enthält, ist, dass er die Art und Weise, wie die Verfahren stattfinden, etwas verbessern wird, aber das ändert wenig an der Gefahr dieses System für die Demokratie, auch für öffentliche Haushalte und damit die Steuerzahler und unsere Möglichkeit, in Zukunft überhaupt noch Politik im Gemeinwohlinteresse zu gestalten.

An welchen Punkten sehen Sie kleine Verbesserungen?

Pia Eberhardt: Die Investor-Staat-Verfahren werden in Zukunft transparenter stattfinden, es wird ein Berufungsmechanismus eingerichtet, und es wird vor allem verhindert, dass die Schiedsrichter, die diese Klagen entscheiden, von den Parteien ausgesucht werden. Heute ist es so, dass sich der Investor einen Schiedsrichter aussucht und der Staat den zweiten und die beiden zu zweit die dritte Person und diese drei dann Recht sprechen. Das ist so, wie wenn wir heute vor das Bundesverfassungsgericht gehen würden und uns die Hälfte der Richter aus unserem Freundeskreis zusammensuchen. Das wird verändert.

Die EU-Kommission schlägt vor, dass es eine Liste von 15 Personen geben soll, die von der EU und den USA ernannt werden. Aus diesem Kreis werden dann die Schiedsrichter bestimmt. Das ist tatsächlich eine Verbesserung, es berührt aber kaum die Gefahr, die dieses System für die Demokratie oder für Politik zum Schutz von öffentlichen Interessen bedeutet.

Dass der Deutsche Richterbund kürzlich eine sehr harte Stellungnahme gegen diese neuen Investitionsgerichtshöfe veröffentlicht hat, ist durch die Medien in Deutschland wenig bekannt gemacht worden. Worin besteht aus Ihrer Sicht die wesentlichste Kritik, die die Richter geübt haben?

Pia Eberhardt: Für mich sind zwei Kritikpunkte aus der Stellungnahme des Richterbundes ganz wesentlich. Einmal sagt der Richterbund ganz klar, es handelt sich hier um kein Gericht und um keine unabhängigen Richter, denn die Kriterien, die die Kommission zur Auswahl dieser Personen vorschlägt, und vor allem die Tatsache, dass sie kein festes Gehalt bekommen, sondern weiter nach Verfahren sehr lukrativ bezahlt werden, korrumpiert ihre Unabhängigkeit. Deshalb sagt der Richterbund ganz klar, es sei eigentlich falsch, hier von einem Gericht zu sprechen, es ist mehr eine Art permanentes Schiedsgericht.

Und der zweite wesentliche Kritikpunkt aus meiner Perspektive in der Stellungnahme ist, dass der Richterbund sich ganz klar gegen Sonderrechte für eine einzelne Gruppe in der Gesellschaft ausspricht. Der Richterbund sagt ganz klar, wenn es rechtliche Probleme gibt irgendwo in der Welt, und die gibt es ja, dann müssen die behoben werden für alle in der Gesellschaft durch eine entsprechende Ausstattung der Gerichte. Sonderklagerechte für eine einzelne Gruppe, in diesem Fall jetzt ausländische Investoren, können da nicht der richtige Weg sein. Das ist eine ganz grundsätzliche Kritik am Investorenschutz für ausländische Investoren und einer Sondergerichtsbarkeit, wie sie die EU-Kommission vorschlägt.

Sehenden Auges rennt man in ein völlig unüberschaubares, aber sehr hohes finanzielles Risiko

Pia Eberhardt: Wenn man sich diese Tribunale anschaut, dann ist, glaube ich, das größte Problem aus der Perspektive der Unabhängigkeit, dass sie weiter pro Verfahren bezahlt werden. Das ist in einem System, wo nur eine Seite klagen kann, also der Investor, ein großer struktureller Anreiz für diese Person, zugunsten des Investors zu entscheiden, weil das eben bedeutet, es wird auch in Zukunft viele Klagen, viele Ernennungen und damit viel Geld für diese Personen geben.

Aber es gibt noch andere Fallstricke in dem Vorschlag, die darauf hinweisen, dass die zukünftigen Schiedsgerichte mit genau den gleichen Leuten besetzt werden wie schon heute, die letztendlich den Klageboom durch die investorenfreundliche Interpretation des Rechts angeheizt haben.

Ein Grund ist das Fehlen einer Karenzzeit. Man kann sich vorstellen: Ein privater Anwalt von Freshfields, der heute in dieser Kanzlei sehr viel Geld damit verdient, wenn Investoren Staaten verklagen, und der Investoren in solchen Klagen vertritt, kann ganz problemlos für diese Liste der 15 ernannt werden. Er spricht dann jahrelang Recht, legt das Recht aus – natürlich immer in Gedanken an seine eigene Industrie, die Schiedsindustrie – und geht nach sechs Jahren wieder zurück in die private Anwaltspraxis und beutet das System dann weiter für Investoren aus.

Das ist einer von vielen kleinen Fallstricken, die der Vorschlag enthält. Sie führen zumindest zu einem begründeten Zweifel, dass der Kommission tatsächlich daran gelegen ist, die rechtsstaatlichen Probleme ernsthaft zu beheben.

Wenn CETA angenommen würde, dann könnten alle Unternehmen klagen, die Niederlassungen in Kanada haben. Wenn z. B. Volvo jetzt nicht in Schweden sitzen würde, sondern eine Zweigniederlassung in Kanada hätte, dann wäre das chinesische Unternehmen berechtigt, wenn hier z.B. Umweltauflagen oder gesetzliche Lohnauflagen hier beschlossen würden, die „legitime Gewinnerwartungen“ verringern, gegen Deutschland zu klagen.

Pia Eberhardt: Das Investor-Staat-Klagesystem wird heute schon so genutzt, dass es Unternehmen sogar nutzen können, über Niederlassungen in anderen Ländern ihre eigene Regierung zu verklagen. Für das EU-Kanada-Abkommen ist ganz klar, dass dieses Abkommen auch von in Kanada operierenden US-Unternehmen genutzt werden kann. Auch sie könnten dann gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten klagen.

An diesem Problem, also dass da ein System gestrickt wird, was Unternehmen, die clever ihre Investitionen weltweit strukturieren, gegen jede Regierung nutzen können, mit der sie irgend ein Problem haben, ändern die EU-Vorschläge gar nichts. Was das bedeutet, sind letztlich völlig unüberschaubare und unkalkulierbare Risiken.

Ich wage wirklich zu bezweifeln, dass irgendjemand in der Europäischen Kommission oder in der Bundesregierung eine Ahnung hat, wie viele Unternehmen auf Basis dieser Vorschläge klagen und wie hoch die Schadensersatzsummen sein können. Also sehenden Auges rennt man in ein völlig unüberschaubares, aber sehr hohes finanzielles Risiko.

Bekannt ist ja, dass über 40.000 US-Unternehmen solche Niederlassungen in Kanada haben und klagen könnten, aber die wirkliche Zahl von Unternehmen liegt noch weit höher?

Pia Eberhardt: Also wir wissen von etwas über 50.000 in den USA registrierten Unternehmen, die in Europa aktiv sind, vier von fünf dieser Unternehmen, tatsächlich über 40.000, haben auch in Kanada Niederlassungen. Das heißt, sie werden auf Basis des EU-Kanada-Vertrags gegen die EU-Mitgliedstaaten klagen können.

Das sind tatsächlich echte Unternehmen, aber wenn man den Begriff der Investitionen und des Investors in diesen Texten anschaut, dann ist der sehr viel breiter. Er umfasst nämlich nicht nur tatsächliche Unternehmen, sondern auch Anteilseigner und Fonds, und wenn man das ernst nimmt, dann wird einem bewusst, dass man es hier tatsächlich mit Abertausenden von Akteuren zu tun hat, die dieses System nutzen können, um zu klagen.

Also es wird kaum ein größeres europäisches Unternehmen geben, das nicht irgendeine US-Beteiligung hat, die es nutzen kann, um auf Basis von TTIP beispielsweise auch gegen die eigene Regierung zu klagen. Die Klagerisiken sind wirklich völlig unüberschaubar.

Das Geschäft der Investor-Staat-Klagen boomt

Es geht also weit über den Schutz „klassischer „Investitionen“ hinaus, es geht auch um indirekte Investitionen, die in Fonds versteckt sind.

Pia Eberhardt: Investorenschutz darf man sich wirklich nicht eng denken. Es geht nicht nur um den Schutz von tatsächlichen Unternehmen, die aktiv sind, Arbeitsplätze schaffen, MitarbeiterInnen haben, sondern auch Kleinstbeteiligungen an Unternehmen geben das Recht zu klagen. Der EU-Kanada-Vorschlag schiebt dem ein bisschen einen Riegel vor, weil er sagt, es können nur Investoren klagen, die substantielle Geschäftsaktivitäten im jeweils anderen Land unterhalten. Was das dann ist, ist natürlich Auslegungssache, aber es wird zumindest versucht, reine Briefkastenfirmen vom Klagen abzuhalten. Für das TTIP ist diese Formulierung bisher noch nicht vorgesehen, aber letztendlich bleibe ich dabei, dass niemand weiß, wer hier alles klagen können wird.

Man muss ja ehrlicherweise sagen, das System der Investitionsstrukturierung und das sog. Treaty Shopping – also dass ich meine Investitionen weltweit so strukturiere, dass ich im Zweifelsfall klagen kann, und idealerweise auf der Basis eines Vertrags, der sehr starke Investorenrechte enthält -, das ist ja schon heute gang und gebe. Auch heute haben Investoren schon die Möglichkeit, ihre Investitionen entsprechend zu strukturieren.

Deutschland hat sehr viele bilaterale Investitionsschutzverträge unterzeichnet – keinen mit den USA -, aber ein cleverer Investor könnte dieses dichte Netz der Investitionsschutzverträge schon heute ausnutzen. Was TTIP verändert, ist , dass es dann das direkte Klagerisiko einräumt, das heißt, das Klagerisiko wird wirklich vervielfacht.

Investitionsanwalt dürfte unter diesen Umständen ein sehr lukrativer Beruf werden?

Pia Eberhardt: Ja, tatsächlich boomt das Geschäft der Investor-Staat-Klagen, deshalb gibt es weltweit mehrere Universitäten, in denen junge Juristen sich ausbilden lassen können als Investitionsrechtler, d.h. es ist eine Armee, könnte man sagen, an jungen Juristen, die für diesen Markt ausgebildet und natürlich alles dafür tun wird, dass der Markt weiter wächst und sie ein Geschäftsfeld haben.